Wandern im Obervinschgau (page 2)

Castelcoira – die Churburg

Die Decke des Arkadengangs im ersten Stock ist rund herum mit dem Stammbaum – dargestellt durch eine Quitte – der Familie bemalt. Fabeltiere und Narrenszenen schmücken die Wände. Im Jakobszimmer ist ein Pilgermantel zu sehen, den der gleichnamige Stammvater 1561 auf seiner Reise nach Jerusalem trug. In diesem Raum ebenfalls zu bewundern ist eine Renaissance-Orgel, die Seltenheitswert besitzt. Bei unserem Besuch erhielten wir eine Hörprobe, da kurz zuvor Aufnahmen von dem guten Stück gemacht wurden. Wie sie sich anhört? Offen gesagt haben wir uns beim Kauf der CD zurückgehalten.

Für Kinder ist die Rüstkammer ein Highlight, denn die Mutigen dürfen einen Helm aufsetzen und sich zur Erinnerung fotografieren lassen. Grundsätzlich war die Führung sehr kinderfreundlich: Die Kids durften abwechselnd den Bund mit den alten, mächtigen Schlüsseln tragen und wurden durch Fragen mit in die Führung eingebunden. Wer mal einen Blick auf das historische Gebäude werfen will, kann dies auf der Webseite der Churburg tun. Hier gibt es einen eindrucksvollen Rundgang.

Auch wenn der Weg von Mals nach Schluderns eher ein ausgedehnter Spaziergang war, zusammengenommen mit der Führung durch die Churburg war der Ausflug aber doch recht anspruchsvoll und wir waren deshalb etwas erschöpft, sodass wir das Bedürfnis hatten, gemütlich nach Mals zurückzukommen. Mit der Vinschger Bahn geht das bestens. Diese fährt stündlich quer durch das Tal und verbindet alle Orte vom Obervinschgau bis nach Meran.

Am Fuße des Piz Sesvenna

Am nächsten Tag ging es dann in die Höhe von Schlinig (ital.: Slingia) aus zur Sesvennahütte, die auf 2256 Metern Höhe unterhalb des Piz Sesvenna liegt. Schlinig gehört ebenfalls zur Gemeinde Mals. Unter Langlauffreunden ist der Ort ein Begriff. Im Skigebiet Watles befindet sich das Nordische Langlaufzentrum, das auch im Sommer die Jugend trainiert. Als wir hinauf nach Schlinig fuhren, sind einige Mädchen und Jungs von Burgeis (ital.: Burgusio), das auf einer Höhe von etwas über 1200 Metern liegt, auf Roll-Skiern bis nach Schlinig hochgefahren, um dort zusätzlich auf einem Parcours noch Runden zu drehen. Respekt vor dieser sportlichen Leistung. Unser Start zur Sesvennahütte lag dagegen auf bereits 1700 Metern, wo wir in Schlinig das Auto stehen ließen.

Von Schlinig führte der Weg zunächst zur Schliniger Alm, die man in einer halben bis Dreiviertelstunde erreicht hat. Vor allem ältere Menschen nutzen diese Strecke gern für einen Spaziergang, um dann in der Schliniger Alm einzukehren und den Ausblick von hier aus zu genießen. Für den Weg weiter zur Sesvennahütte stehen zwei Routen zur Verfügung: Eine breite Schotterpiste, die überwiegend von Mountainbikern und den Hüttenbetreibern als Versorgungsweg genutzt wird. Diese steigt zunächst nur mäßig an, hat aber ab dem Schwarzwand-Wasserfall eine herausfordernde Steigung. Wir hatten uns für einen kleinen Pfad oberhalb dieses Almweges entschieden. Er trägt die Nummer 8a, verläuft als schmale Spur zwischen Almwiesen und steigt regelmäßig an. Zahlreiche Schmetterlinge, Bienen und Hummeln begleiten im Sommer die Wanderer auf ihrem Weg, denn hier wachsen Disteln, Kranzenziane, Acker-Wittwenblumen und vieles mehr, was den Insekten Nahrung schenkt. Auf dem Weg gibt es auch eine Bank, auf der man getrost für ein paar Minuten Platz nehmen sollte, um sich in aller Ruhe das Tal und den Wasserfall anzuschauen.

Nahe der Schwarzwand beim Wasserfall trifft der Pfad dann auf den geschotterten Almenweg. Bis zur Sesvennahütte ist es dann nicht mehr weit. Hier oben auf dem Plateau befindet sich auf etwa 2.300 Metern Höhe auch die alte Pforzheimer Hütte. Sie wurde 1901 eröffnet, brannte 1964 aus und wurde jüngerer Zeit saniert. Heute steht sie unter Denkmalschutz und dient unter anderem als Museum. Die erste Ausstellung thematisierte den Schmuggel: Auf diesem Pfad, den wir gelaufen waren und der den Vinschgau mit dem Schweizer Münstertal verbindet, florierte bis in die frühen 1970er-Jahre der Schwarzhandel. Eigentlich wollten wir noch über den Bergsattel laufen und einen Blick aufs Münstertal werfen. Hier oben fing es allerdings an zu regnen und ungemütlich zu werden, sodass wir eine Einkehr in die Sesvennahütte vorgezogen haben.

Val Müstair: Kultur und Natur an der Grenze

Das Münstertal war damit aber noch nicht vom Tisch. Am nächsten Tag liefen wir direkt von Schleis zunächst nach Laatsch (ital. Laudes) und von dort aus nach Taufers. Taufers liegt im italienischen Teil des Münstertals kurz vor der Schweizer Grenze, dahinter befinden sich Müstair (Münster) und das bekannte Benediktinerinnenkloster St. Johann. Wie St. Benedikt in Mals stammen die ältesten Gebäude der Klosteranlage aus dem 8. Jahrhundert. Gut erhaltene, karolingische Fresken aus dieser Zeit schmücken die  Wände der alten Klosterkirche. Aufgrund dieser einzigartigen Zeugnisse zählt das Kloster St. Johann in Müstair seit 1983 zu den UNESCO Weltkulturerbestätten.

Der Weg, den wir für unsere Wanderung von Laatsch nach Taufers gewählt hatten, war zu Beginn nicht sehr ansprechend, da er an der Straße entlang führte. Nach einer halben Stunde aber zweigte die Straße auf der einen, der Waldweg auf der anderen Seite ab. Idyllischer wäre sicher der Mitterwaalweg gewesen, der etwas oberhalb unserer Route verläuft und von Glurns nach Rifair führt. So aber hatten wir Gelegenheit, die Schönheit des Rambachs kennenzulernen: ein Zankapfel auf südtiroler Seite und ein geschützter, renaturierter Talfluss auf der schweizerischen Seite. Dort heißt er übrigens Rombach. Auf italienischem Terrain aber soll die Wasserkraft des Rambachs voraussichtlich hydroelektrisch genutzt werden. Ein großer Teil der Bevölkerung in den umliegenden Gemeinden hat sich bereits für ein Kraftwerk ausgesprochen. Sehr zum Verdruss der Initiative Pro Rambach, die sich für Naturschutz und den ursprünglichen Erhalt des Talflusses engagiert. Tafeln entlang des Flusslaufes informieren darüber, wie wertvoll die Natur rings um das Gewässer ist. Ein Zitat von Hermann Hesse wird dort auch wiedergegeben – ein sehr schönes, wie ich finde:

„Bäume sind Heiligtümer.
Wer mit ihnen zu sprechen,
wer ihnen zuzuhören weiß,
der erfährt die Wahrheit.
Sie predigen nicht Lehren und Rezepte,
sie predigen das Urgesetz des Lebens.“

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