Ausgewählte Stücke der Gemäldegalerie

Kunstgenuss ist oft reine Geschmacksache. Ein Kunstwerk erschließt sich aber durchaus über Hintergründe, sodass der Gegenstand, der einem vorher vielleicht gar nicht gefallen hat, doch zugänglich und gefällig wird. Eine Führung oder ein Audio Guide ist dafür meistens eine echte Bereicherung. Vor einiger Zeit hatte ich das Vergnügen, an einer privaten Führung durch die Gemäldegalerie des Hessischen Landesmuseums Darmstadt teilzunehmen, bei der die Kunsthistorikerin Dr. Stephanie Hauschild der Gruppe in einer Stunde ausgewählte Gemälde vorgestellt hat, die zwischen dem 15. und dem 20. Jahrhundert entstanden sind. Das Landesmuseum hat auf diesem Gebiet einiges zu bieten, hängen hier doch Schätze großer Meister wie Peter Paul Rubens, Pieter Breugel d.  Ä. oder Lucas Cranach d. Ä.

Die Führung war chronologisch und startete mit einem Werk des Malers Stefan Lochner:

Darbringung im Tempel

Das Bild entstand 1447, war ursprünglich Teil des Hochaltars der Kölner Katharinenkirche und zählt zu den wichtigsten Werken des Kölner Malers. Es ist ein Auftragswerk, das Lochner malte, und der unbekannte Auftraggeber ist auch auf dem Bild verewigt: Dieser steht rechts vom Priester. Das deutlich sichtbare Kreuz auf seinem Umhang weist ihn als Mitglied des Deutschen Ordens aus.

Doch was stellt die Szene dar? Der Titel „Darbringung im Tempel“ weist auf eine „nachjüdische“ Handlung hin, wie es Stephanie Hausschild nannte: Im traditionellen Judentum werden bis heute Erstgeborene Gott geweiht. Hier auf dem Bild präsentiert Maria ihren Sohn dem Heiligen Simeon, der Jesus  als Messias erkennt. Dem Propheten Simeon wurde das Bild auch geweiht. Die Lichterprozession nimmt Bezug auf Mariä Lichtmess. Das Fest wird am 2. Februar gefeiert – 40 Tage nach Weihnachten. Frauen galten nach altem Glauben 40 Tage nach Geburt eines Sohnes und 80 Tage nach Geburt einer Tochter als unrein. Gott sei Dank, dass sich solche Ansichten aus den Köpfen der meisten Menschen verabschiedet haben.

Interessant war Stephanie Hauschilds Ausführung zur Farbe: Denn das leuchtende Blau, das der Maler vor allem bei der heiligen Mutter und den Engeln verwendet hat, basiert auf Lapislazuli. In der sogenannten abendländischen Kunst wurde Lapislazuli als Pigment genutzt, um ein lichtbeständiges, ultramarines Blau herzustellen. Lapislazuli wird aufwändig und nur in Afghanistan abgebaut. Zu Lochners Zeit galt das Pigment des Edelsteins fast noch kostbarer als Gold. Günstiger waren Farbpigmente aus Azurit, da dieser auch in Europa vorkommt.

Bei diesem Bild hatten wir uns ziemlich lange aufgehalten. Deshalb mussten wir jetzt einen Zahn zulegen. Eine Stunde für die Kunst und ihre Geschichten ist eben doch sehr kurz …

Die Elster auf dem Galgen

Pieter Breugel d.  Ä.  malte dieses Bild 1568 in Brüssel. Es zeigt im Vordergrund eine Feier, bei der Bauern im Wald am Fuße eines Galgens ausgelassen tanzen. Es ist Spätsommer. Die Blätter der Bäume färben sich bereits Gelb ein. Im Hintergrund ist ein Dorf zu sehen, weiter entfernt auf einem Berg eine Festung. Die gesamte Szene wirkt fröhlich und friedvoll. Doch auf dem Galgen sitzt eine Elster, die dem Bild seinen Namen gegeben hat. Elstern stehen als Sinnbild für Geschwätzigkeit. Da dieses Bild unter der Schreckensherrschaft des Herzogs von Alba entstand, wird es darauf hinweisen wollen, dass unbedachtes Reden durchaus dazu führen kann, am Galgen zu enden.

Die Kunsthistorikerin hatte dieses Bild gewählt, um auf die Perspektive aufmerksam zu machen, die sich in ihren Ansätzen entwickelt hatte. Das Motiv zeigt eine landschaftlichte Tiefe und die Ebene im Hintergrund ist farblich wie durch natürlichen Dunstschleier aufgehellt.

Großer Blumenstrauß mit zwei Papageien

Um Proportionen ging es bei dem Bild von Peter Binoit, das er 1620 schuf. Ein beliebtes Motiv und deswegen fertigte der Maler es auch in Serie. Es zeigt ein üppiges Blumenbouquet aus Tulpen, Rosen, Anemonen, Glockenblumen, Iris, Schlüsselblumen, Ringelblumen, Traubenhyazinthen und vielen mehr. Ein mächtiger Strauß, der in einer viel zu kleinen Vase steckt. Das Größenverhältnis würde in der Wirklichkeit nicht funktionieren. Die Vase würde nicht Stand halten und umfallen. Auch die Blumen entsprechen nicht ganz der Realität. Keine Iris hat so einen langen Stil, wie es für diesen Strauß nötig wäre. Insofern gehen die Kunsthistoriker davon aus, dass Binoit über Skizzen verfügte, die er nach Bedarf zu Stillleben zusammenstellte.

Binoit arbeitete in seinem Bild mit typischen Sinnbildern. So knabbert beispielsweise eine kleine Ameise an einer Rose und symbolisiert damit den Tod. Für Faulheit steht angeblich die Schnecke, für das Böse der Käfer. Der Blumenkranz wird die Unendlichkeit symbolisieren. Zwei kleine Papageien – es sind wertvolle Orangenköpfchen – naschen an einem Granatapfel,  der wegen seiner zahlreichen Samen in der Antike für Fruchtbarkeit und im Mittelalter für die Auferstehung Christi stand. Auch der Schmetterling oben rechts im Bild ist Symbol der Wandlung und damit der Auferstehung.

Bei der Vase handelt es sich übrigens um chinesisches Porzellan. Binoits Bild entstand in Frankfurt am Main, und dort wurde zu jener Zeit ostasiatisches Porzellan gehandelt. Die Metallfassung der Vase, davon geht die Kunsthistorikerin aus, wurde von einem Schmied nachträglich angefertigt.

Dianas Heimkehr von der Jagd

Wie der Titel bereits verrät, zeigt Peter Paul Rubens großformatiges Gemälde die keusche Jagdgöttin Diana, die mit Gefährtinnen von der Jagd heimkehrt. Die Frauen werden von zwei Satyrn mit reichlichen Erntegaben empfangen. Diana schaut mit einem klaren Blick auf die Kinder, die sich am Obst des vorderen Satyrs bedienen. Dieser beobachtet die Jagdgöttin aufmerksam und mit einem kessen Lächeln. Er wird wiederum kritisch von einer der Gefährtinnen beäugt. Ein zweiter Satyr bietet einer Jägerin eine Feige an, die ihrerseits Blick zu Boden gesenkt hat. Die knisternde Atmosphäre ist förmlich zu spüren. Verführung liegt in der Luft. Und die wird schließlich auch durch den Musiker mit dem Dudelsack und der jungen Frau dargestellt, die er übergriffig auf die Wange küsst. Eine der Jägerinnen blickt aus dem Bild heraus. Sie stellt damit das Medium dar, das den Betrachter mit dem Motiv verbindet, so Stephanie Hauschild. Interessant: Kein Blick korrespondiert mit dem eines anderen, außer dieser der herausblickenden Gefährtin mit dem des Betrachters.

Das Gemälde ist einfach nur eindrucksvoll. Es ist faszinierend, aus wie vielen Farbnuancen die Haut der Personen besteht oder wie plastisch Dianas gerafftes Kleid dargestellt ist. Ob die Figuren von Peter Paul Rubens selbst ausgeführt wurden oder von einem der Schüler seiner Werkstatt stammen, ist nicht bekannt. Kunsthistorisch belegt ist aber wohl, dass Tiere und Obst vom Stilllebenspezialisten Frans Snyders gemalt wurden.

La belle Dame sans merci

Um Verführung geht es auch ganz offensichtlich bei John William Waterhouses Bild (Titelbild) aus dem Jahr 1893: Als Vorlage für sein Motiv diente die gleichnamige Ballade des englischen Poeten John Keats. Eine feenhafte Schöne zieht einen Ritter in ihren Bann. Und das kostet ihn beinahe das Leben. Die Spannung in dem Bild liegt in den beiden Figuren. Sie, auf dem Boden sitzend, zieht ihn mit ihrem unschuldig wirkendem Blick und ihren Haaren zu sich herab. Er kniet in seiner Rüstung mit kraftlos geöffneten Armen vor ihr und scheint nichts anderes machen zu können, als sie anzustarren. Das Bildnis einer Femme Fatale, die mit hypnotischer Kraft einen Mann willenlos macht – ein klassisches Thema in der Malerei des Viktorianischen Zeitalters.

Stephanie Hauschild hatte dieses Bild ausgewählt, um zu zeigen, wie künstliche Ölfarben die Farbpalette in der Malerei bereicherten. Sie machten Farben wie die Grüntöne des Waldes oder das Violett des Kleides möglich, wie sie durch natürliche Farbpigmente nicht hergestellt werden konnten. Auch erleichterten die Kunstfarben den Malern die Arbeit. Die Farbe musste nicht länger bedarfsgerecht und sehr sparsam angerührt werden. Tuben verhinderten das Austrocken. Vermutlich kam dieses Bild durch den Enkel Queen Viktorias, Großherzog Ernst Ludwig, nach Darmstadt.

Immer wieder einen Besuch wert

Die einstündige Führung ist wirklich schnell vergangen und hat mal wieder gezeigt, dass man auch als Darmstädter/in öfter ins Landesmuseum gehen kann.  Nach der Neueröffnung war ich jetzt bereits dreimal dort: einmal, um mir mal wieder die zoologische Abteilung anzuschauen, bei dieser Führung und zuletzt bei der Sonderausstellung mit Exponaten von Tony Cragg.  Das wird ganz sicher nicht der letzte Besuch gewesen sein.

Das Programmangebot ist vielseitig. Das  Museum sieht sich nicht nur als Kunstvermittler für Erwachsene, sondern ebenso für Kinder, Jugendliche und jüngst auch für Flüchtlinge. Für aktuelle Veranstaltungen lohnt darüber hinaus ein Blick auf die Seite der Jungen Freunde des Hessischen Landesmuseums Darmstadt.