Markus Orths „Picknick im Dunkeln“

Stell Dir vor, Dein Bewusstsein erwacht plötzlich in vollkommener Dunkelheit. Um Dich herum nur Schwarz, ein glatter Boden unter den Füßen und eine Wand aus derselben Beschaffenheit. Genau das passiert Arthur Stanley Jefferson, besser bekannt als Stan Laurel von „Laurel & Hardy“. Er befindet sich in einem Raum und einer Zeit, die er im Moment nicht kennt. Komplett angezogen mit Anzug, Fliege am Kragen und einer Melone auf dem Kopf. Ein Filmanzug, denkt er und ruft nach seinen Filmpartner Oliver Hardy. Stan Laurel ist aber nicht an einem Filmset, sondern im Irgendwo – und zwar allein. Zumindest vorerst.

Wie seine Filmfigur nimmt er die Situation, wie sie ist und macht mit sich unsicheren Schritten, aber optimistisch durch das undurchdringliche Schwarz auf die Suche nach einem Ausgang. Dabei ziehen Erinnerungen seines Lebens in seinen Gedanken vorbei. Es dauert nicht lange, da wird ihm seine Situation doch etwas unheimlich und er beschleunigt seinen Gang. Und es kommt, wie es kommen muss: Stan stolpert. In der Dunkelheit ertastet er einen menschlichen Körper, groß und massig, wie der von Oliver Hardy. Er spricht ihn an: „Bist Du das Ollie?“ Keine Antwort. Kann auch nicht sein, denn Oliver Hardy ist zu diesem Zeitpunkt bereits vor einigen Jahren gestorben. Noch viel weniger kann dies Thomas von Aquin sein. Zwischen dem berühmten Dominikaner und dem Komiker liegen immerhin 700 Jahre. Es ist aber Thomas von Aquin. Und damit nimmt die phantasievolle Reise in die Vergangenheit der beiden und das Schicksal, das sie nun verbindet, Fahrt auf.

Markus Orths verwebt in „Picknick im Dunkeln“ in kurzen Kapiteln die Biografien der beiden Persönlichkeiten, deren Charaktere nicht unterschiedlicher sein könnten. Der eine dem Leben, der Liebe und dem Lachen zugewandt. Der andere Philosoph, broternster Theologe, an dessen Rationalität jeglicher Humor abprallt. Natürlich denkt Stanley aufgrund des zeitlichen Unterschieds zunächst, er sei einem Verrückten begegnet. Doch die seltsame Dunkelheit und seine gedämpften Wahrnehmungen lassen ihn doch letztlich vermuten, dass die beiden sich hier in einem Raum fernab der Zeit zusammengefunden haben. Gemeinsam suchen sie nun den Ausgang und erzählen sich dabei ihr Leben aus den unterschiedlichen Jahrhunderten. Aufgrund des spröden wissenschaftlichen Geistes hat Stan Laurel echte Mühe dem Theologen seine Berufung als Komiker und Witz als solches näher zu bringen. Das berühmte Kniechen-Öhrchen-Näschen-Spiel darf bei den Versuchen natürlich nicht fehlen.

Das ist es letztlich, was mir so gut an Markus Orths „Picknick im Dunkeln“ gefallen hat. In seinen wunderbaren Beschreibungen erinnert er die Leser*innen an längst vergangene Fernsehwelten. Ich hätte sicher nicht von selbst an die „Laurel & Hardy“-Filme gedacht, an die Mimiken der beiden und ihre albernen Geschichten.  Ich hätte mir vermutlich auch keine Biografie der beiden Romanfiguren zu Gemüte geführt – weder von Arthur Stanley Jefferson, noch von Thomas von Aquin. Und auch wenn das Sterben und der Tod hier natürlich den Rahmen der Handlung geben: Markus Orths gelingt es, mit zuweilen großartig poetischer Sprache dieser grundsätzlich schweren Kost eine warme Leichtfüßigkeit zu geben. Vor allem dürfen sich die Leser*innen auf ein wirklich herzliches Ende freuen.

Ein kurzweiliger, anregender, auch philosophischer und vor allem origineller Roman! Erschienen bei Hanser Literaturverlage.