Die Geschichte der Bienen

Werden die Bienen und andere hilfreiche Insekten aussterben? Wenn wir so weitermachen, gut möglich! Viele Insekten fehlen, das merken wir nicht nur an der heute so viel zitierten sauberen Windschutzscheibe. Auch im Garten bleiben gelegentlich die sonst begehrten Blüten verwaist. Selbst die Honigbiene gilt als bedroht. Dabei ist sie das drittwichtigste Nutztier des Menschen. Fehlt sie eines Tages, wird sich das gravierend auf unser Leben auswirken. Maja Lunde hat sich in ihrem Roman „Die Geschichte der Bienen“ mit der Entwicklung und den möglichen Folgen befasst.

Das Buch handelt von Imkerei, modernen Imkern, vom Bienensterben und einer späteren Zeit, in der es keine Bienen mehr geben wird. Maja Lunde hat dazu drei Hauptfiguren entworfen: Biologe und Samenhändler William lebt 1852 in England. Er entwickelt einen Bienenstock, der das Imkern erleichtert. George ist ein Berufsimker aus den USA, der im Jahr 2007 erstmals einen Colonie collapse disorder (CCD) erlebt. Durch seine Geschichte wird der Blick auf die aktuelle Situation der Imkerei und das Bienensterben geworfen. Der dritte Handlungsstrang führt den Leser nach China: Tao lebt in der Zukunft und ist eine menschliche Arbeitsbiene, die in den Obstbäumen im Akkord Blüten bestäuben muss. Ein Szenario, das alles andere als Fiktion ist. Denn schon heute gibt es in China Regionen ohne Bienen. Menschen müssen die Arbeit der fleißigen Insekten ersetzen.

Blick auf die Bienen über die Hauptfiguren

Um es vorweg zu sagen: Keiner der drei Helden wird wirklich als Sympathieträger eingeführt. Alle wirken engstirnig und egoistisch. Aber genau dadurch erfährt der Leser etwas über die Biene. William, der depressive Wissenschaftler, ist fasziniert vom Superorganismus „Biene“, dem großen Ganzen, dem jedes einzelne Individuum untergeordnet ist. Im Laufe seiner Geschichte wird fast nebenbei erläutert, wie ein Bienenstaat aufgebaut ist.

George schlägt sich mehr schlecht als recht als Imker durch. Mit 324 Völkern besitzt er im Vergleich zu anderen Imkern verhältnismäßig wenige Bienen. Obwohl er weiß, wie sehr es die Tiere stresst, wenn sie einmal quer über den nordamerikanischen Kontinent zur Bestäubung unterschiedlicher, pestizidbelasteter Plantagen transportiert werden, blickt er mit Neid auf einen Kollegen, der auf diese Weise mit seinen 4.000 Bienenvölkern viel Geld verdient. Er plant es ihm gleich zu tun. Doch es kommt anders.

Taos Geschichte zeigt, wie eine Gesellschaft ähnlich wie ein Bienenstaat funktioniert. Wie ihre Eltern einst arbeitet sie als Bestäuberin. Der Leser erfährt, wie hart dieser Knochenjob ist, und welche Sanktionen eine menschliche Arbeitsbiene erhält, wenn nicht genügend Blüten befruchtet wurden oder durch das menschliche Gewicht ein Ast beschädigt wird. Tao ist folgsam und dem System – dem großen Ganzen – untergeordnet. Aber das ändert sich im Laufe ihrer Geschichte.

Wissenschaft, Tradition, Revolution

Neben der Geschichte der Bienen liegen die Handlungsschwerpunkte auf menschlichen Konflikten: Bei William ist es der Wunsch nach wissenschaftlicher Anerkennung, vor allem von seinem Mentor. William lebt in einem bigotten, englischen Dorf, in dem die Bibel alle Erklärungen für die Welt liefert. Er als Wissenschaftler möchte aber den Menschen die Zusammenhänge zwischen dem Großen und dem Kleinen, zwischen der Schöpfung und der Schöpferkraft aufzeigen. Durch seine egozentrische, fast fanatische Art bemerkt er zunächst gar nicht, welche Begabung eines seiner Kinder hat.

Bei George gibt es einen klassischen Vater-Sohn-Konflikt, der sich letztlich auch auf die Beziehung zu seiner Frau auswirkt: Der Imker in dritter Generation will, dass auch sein Sohn die Tradition weiterlebt. Der hat allerdings andere Pläne.

Der Konflikt löst sich – wie, das bekommt der Leser durch Taos Geschichte heraus. Wie in einem guten Krimi stellt Maja Lunde am Ende einen tatsächlichen Bezug zwischen den drei Erzählsträngen her. Taos Geschichte ist dabei die Spannendste von allen dreien. Sicher auch, weil sie sich zu einer Art Revolutionärin entwickelt. Auslöser ist die mysteriöse Erkrankung ihres kleinen Sohnes. Er verschwindet spurlos aus dem Krankenhaus und niemand will ihr sagen, was mit ihm passiert ist. Tao begibt sich auf die Suche nach ihm und lernt dabei ihr Land besser kennen, das allerdings recht apokalyptisch anmutet.

Düstere Vision mit Hoffnungsschimmer

„Die Geschichte der Bienen“ endet mit einem winzigen Hoffnungsschimmer. Summa summarum ist es ein Buch, das zum Nachdenken anregt. Es zeichnet eine Zukunft ohne Bienen, die düster sein wird. Eine Welt, in der es geknechtete Menschen, weniger natürliche Vielfalt, aber als Ersatz dafür künstliche Lebensmittel geben wird. Natürliches Obst wird wie edle Pralinen nur Eliten vorbehalten sein, die es sich wirklich leisten können. So die Vision. Für die in der Realität der Mensch aber weiterhin fleißig den Weg bereitet, damit sie sich erfüllt.

Bereits 2015 machte der Artenschutzbericht des Bundesamts für Naturschutz deutlich, dass rund ein Drittel aller Tier-, Pflanzen- und Pilzarten bedroht ist. Noch gravierender ist der Rückgang der Wirbellosen, zu denen auch Insekten gezählt werden: Danach waren 2015 bereits 45,8 Prozent „als bestandsgefährdet, extrem selten oder bereits ausgestorben“, heißt es hier in einem Beitrag von ZEIT Online. Diese Zahlen werfen die Frage auf, wann sich die Welt endlich besinnt und beispielsweise der maßlose Einsatz von Pestiziden in der industriellen Landwirtschaft beendet wird? Die Natur lässt sich nicht unbegrenzt ausbeuten. Die von Wachstum getriebenen Mechanismen des Kapitalismus sind hier nicht anwendbar. Auch das macht das Buch in letzter Konsequenz nochmals deutlich.

Einen Blick ins Buch zum Reinlesen und weitere Rezensionen gibt es unter anderem bei Random House.